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Von Menschen und Monstern: „Frankenstein“ bei den Lippstädter „Schultheatertagen“

Quelle: Der Patriot, 06.06.2025

Die Kreatur des Doktor Frankenstein ist das wohl berühmteste Monster der Literatur- und Filmgeschichte. Nicht gerade Kinderkram, immerhin ist das unglückliche Wesen aus Leichenteilen zusammengebastelt. Insofern überrascht es, wenn ausgerechnet Fünft- bis Achtklässler den horriblen Stoff auf die Bühne bringen. Doch die English Drama Group des Ostendorf-Gymnasiums punktete bei den Lippstädter „Schultheatertagen“ nicht nur mit außerordentlicher Spielfreude, sondern zeigte auch viel Empathie für das Monster.

Von Andreas Balzer

Lippstadt – Es beginnt mit Regen und Donner aus dem Off. Genau das richtige Wetter für diese Schauergeschichte um Tod, Rache, Verderben und menschliche Hybris. Deren Schöpferin, Mary Wollstonecraft Shelley, tritt auch gleich selbst vor den Vorhang, um das Publikum zu begrüßen – und das gleich doppelt, in Person der Darstellerinnen Laura Hermes und Lea Becker. Denn in „Frankenstein’s Creation – a Monster?“ sind viele Rollen mehrfach besetzt. Sie habe diese Geschichte einfach erzählen müssen, sagt Mary, sie verfolge sie bis heute.

Und nicht nur sie, denn tatsächlich ist der tief in der englischen Romantik verwurzelte Roman heute, im Zeitalter von Atombomben, Gentechnik und KI, moderner denn je. Kein Wunder, dass sich auch ein junges Ensemble dafür begeistern kann. Das nimmt die Studiobühne denn auch gleich mit Verve in Beschlag.

Die ist schnell sehr gut gefüllt, sogar ein bisschen übervoll, denn neben dem großen Ensemble und der recht üppigen Ausstattung finden auch noch der Chor der Sängerklasse 5-1 sowie Musiklehrerin Alexandra Eichler am Klavier darauf Platz. Das macht die Sache zwar etwas wuselig, aber das gleichen die jungen Darstellerinnen und Darsteller mit ihrer mitreißenden Performance schnell aus.

Frankensteins Kreatur wünscht sich eine Gefährtin. Foto: Balzer

Frankensteins Kreatur wünscht sich eine Gefährtin. Foto: Balzer

Bemerkenswert ist die große Ernsthaftigkeit, mit der die von Annette Hesse und Kristina Hölker geleitete English Drama Group den Stoff angeht. Die auf der Bühnenadaption „Frankenstein on Stage“ von Susanne Franz und Mechthild Hesse basierende Inszenierung widersteht jeder Versuchung, die düstere Geschichte mit ein paar Gags etwas aufzulockern, und selbst die Jüngsten im Team sind mit sichtlicher Spielfreude dabei. Auch das Englisch sitzt sehr gut. Die Dialoge sind hervorragend zu verstehen, sieht man von ein paar kurzen etwas leiseren Momenten am Anfang ab.

Überraschend nahtlos funktioniert auch die Staffelübergabe bei den Mehrfachbesetzungen. So hat Victor Frankenstein zwei Darsteller (Taha Oun, Vedant Patil), seine Kreatur wird gleich von vier Schülerinnen (Sana Saidi, Marika Fischer, Ida Morfeld, Delia Berne) verkörpert. Dahinter steckt vielleicht nur der Wunsch, möglichst vielen eine Rolle zu geben. Vielleicht ist es auch ein Verweis darauf, dass in uns allen ein bisschen Frankenstein (und Monster) steckt. Schließlich wussten schon New Model Army: „Well we all create monsters / Come back for their masters.“

„Lovesongs“ singt der Chor auf der Bühne zwar nicht, dafür aber unter anderem „Amazing Grace“ und Elvis Presleys „Love Me Tender“. Und das wirklich sehr schön. Die musikalischen Einlagen tragen viel zum Charme der Aufführung bei, auch wenn sie inszenatorisch nicht gerade zwingend sind.

Doch auch dieser „Frankenstein“ ist alles andere als nett und kuschelig. Zwar ist Shelleys Roman deutlich weniger „Horror“ als viele Verfilmungen, doch auch hier geht es ordentlich zur Sache. Und die English Drama Group erweist sich ebenfalls als wenig zimperlich. Wie in der Vorlage müssen auch hier Victors Bruder (Luisa Schütte) und Braut (Mariia Kostynenko, Laura Voss, Leonita Gashi) sowie das zweite, von Frankensteins Kreatur als Gefährtin geforderte weibliche Monster (Jasmin Bartzsch) dran glauben. Und am Ende auch Frankenstein und seine Schöpfung.

Harte Kost, mit viel Herzblut und Kreativität auf die Bühne gebracht. Dafür gibt es zu Recht einen Riesenapplaus.