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„Ich hätte nichts gegen Lemmium. Die Gruppe ist toll“
Chemielehrer Frank Bayerle erklärt, was die Entdeckung der vier neuen Elemente bedeutet
Ununtrium, Ununpentium, Ununseptium und Ununoctium: Bisher tragen die vier radioaktiven Elementen leicht sperrige, lateinische Zahlwörter als Namen. Das Quartett wurde von Wissenschaftlern entdeckt und der Internationale Chemikerverband IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry) hat die Neulinge jetzt zur Einführung in das Periodensystem freigegeben.
Damit ist das bisher bekannte System voll. Weil das gleich mehrere Fragen aufwirft, hat sich Redakteurin Juliane Klug mit einem Experten getroffen: Frank Bayerle, einem Chemielehrer vom Lippstädter Ostendorf-Gymnasium.
In meiner Schulzeit hatte das Periodensystem rechts unten noch freie Plätze. Woher kommen die Elemente 113, 115, 117 und 118 so plötzlich?
Bayerle: Wissenschaftler haben sie an verschiedenen Instituten für Kernforschung durch bestimmte Atomspaltungen entdeckt. Alle vier sind kurzlebige Elemente. Ihre Lebensdauer beträgt Millisekunden. Die Wissenschaftler wissen übrigens noch nicht, wie man sie einsetzen kann. Das wird höchstwahrscheinlich erforscht. Manche Menschen halten diese Entdeckungen für Spielerei. Aber auch bei Elementen wie Rhodium, Iridium und Hafnium wusste man nicht gleich, wo sie einzusetzen sind. Vielleicht erleben unsere Enkel, wie man die Elemente 113, 115, 117 und 118 verwenden kann.
Wer hat’s denn erfunden, das Periodensystem? Und ist es statisch? Müssen Naturwissenschaftler von nun an Däumchen drehen, was die Entdeckung neuer Elemente angeht?
Bayerle: Der Russe Dmitri Mendelejew († 1907) hat das aktuelle System aufgestellt. Viele Elemente wurden bis zum 19. Jahrhundert entdeckt. Holzkohle kannte zum Beispiel schon der Urmensch. Eisen und Kupfer auch – das belegen alte Werkzeuge. Die Edelgase gab es in Mendelejews System noch nicht. Sie sind erst später dazu gekommen. Um ein Element zu entdecken, muss man es ja irgendwie sehen. Edelgase gehen kaum Reaktionen mit anderen Elementen ein, sie sind reaktionsträge. Deswegen hat Mendelejew sie nicht berücksichtigt. Rein theoretisch kann es übrigens unendlich weitergehen mit der Entdeckung neuer Elemente. Darum vermutet man, dass die 8. Periode (Anm. d. Red.: unter der siebten Reihe) demnächst irgendwann eröffnet wird.
Müssen jetzt nicht alle Schulbücher und Schautafeln neu gedruckt werden?
Bayerle:Ich habe erst gestern eine Mail von einem Schulbuchverlag bekommen und der hat angekündigt, dass er die Entdeckungen berücksichtigen wird. Aber generell muss niemand sein Chemiebuch jetzt gleich wegschmeißen. Wir können ja eh erstmal nichts mit den Elementen anfangen – die Schüler erst recht nicht. Sie arbeiten mit Elementen wie Metallen. Mit den unteren Reihen oder Perioden beschäftigen wir uns kaum in der Schule. Das tun vor allem Physiker.
Heavy-Metal-Fans wollen eines der neu entdeckten radioaktiven Elemente in Anlehnung an den kürzlich verstorbenen Motörhead-Frontmann Lemmy Kilmister
„Lemmium“ nennen. Wie viel Aussicht auf Erfolg hat dieses Vorhaben und woher bekommen Elemente normalerweise ihre Namen?
Bayerle:Ich hätte nichts dagegen, wenn eins der Elemente Lemmium getauft würde. Die Gruppe ist toll!
Allgemein bekommen Elemente zum Beispiel Namen von Forschern. Das Curium beispielsweise ist nach Marie Curie benannt. Viele Elemente werden auch nach Ländern benannt, wie das Francium nach Frankreich oder nach Figuren und Gottheiten aus der Mythologie wie das Promethium nach Prometheus, das Neptunium nach Neptun, das Uranium nach Uranos und das Plutonium nach Pluto. Wie Elemente benannt werden, das entscheidet die IUPAC. Sie legt zum Beispiel auch fest, mit welcher Maßeinheit Gewicht bezeichnet wird. Der Vorschlag mit dem Lemmium wird wohl nicht so erfolgreich sein. Vermutlich sind die Entdecker der vier neuen Elemente keine Metal-Fans und werden auf alte Strategien wie Länder und Menschen zurückgreifen. Leider. Ich könnte mir vorstellen, dass mit einem Lemmium im Periodensystem auch mehr junge Menschen für die Wissenschaft zu begeistern wären.
Der Patriot, 16.1.2016