Berichte
Böser Wolf mit Kuschelfaktor
Drama Group des Ostendorf-Gymnasiums erkundete die Märchenwelt
Von Helga Wissing
Die Hexe möchte nicht mehr böse sein, die Sleeping Beauty hat es satt, in ihrem Turm untätig auf den Prinzen zu warten, und derselbige entpuppt sich als ziemliches Weichei. Im englischsprachigen Stück „Between the Lines“, das sich die Drama Group des Ostendorf-Gymnasium als Beitrag für die „Schultheatertage“ ausgesucht hat, wird einiges auf den Kopf gestellt.
Hier erlebt man nämlich nicht das, was in den Märchenbüchern steht, sondern die Geschichten zwischen den Zeilen. Damit kann sich allerdings der Narrator, sehr überzeugend dargestellt von Marvin Grunwald, erst mal gar nicht abfinden. Der sieht die Welt nämlich nur in schwarz und weiß. Er will nicht, dass die Guten und die Bösen Freunde werden. „So funktionieren klassische Märchen nicht“, ist seine Meinung.
Und dann gerät alles aus den Fugen. Snow White (Aliya Biblis), Little Red Ridinghood (Amelie Becker) und die Sleeping Beauty (Kim Schulz) bekämpfen gemeinsam den Drachen. Die Wicked Witch (Wiebke Struthoff) macht Cinderella (Madeleine Hesse) Komplimente über ihre hübsche Nase und fegt gemeinsam mit ihr den Boden, während diese ihrerseits die schönen Knie der Hexe lobt.
Der Wolf möchte nicht mehr böse, sondern viel lieber „friendly“ und am allerliebsten der „lovable Antagonist“ sein. Und auch die Step-Mother (ausdrucksstark verkörpert von Lina Buckow) entspricht so gar nicht dem gängigen Klischee. Zu allem Überfluss geraten dann auch noch einige Kinder in die Märchenwelt und wundern sich zunächst darüber, dass hier so gar nichts ihren Erwartungen entspricht.
Das Spiel mit den Klischees sorgt nicht nur im Publikum für Erheiterung, sondern bereitet offenbar auch den jungen Darstellern selbst viel Vergnügen. Erfrischend ist ihr Spiel, die englischen Texte gehen allen locker von den Lippen. Der eine oder andere kleine Texthänger wird fröhlich übergangen. Eine Überraschung gibt’s noch, als sich der Junge Devin (Finja Süwolto) am Ende als Mädchen entpuppt.
Trotz aller Komik bleibt die Botschaft nicht auf der Strecke. Es geht um den Blick über den Tellerrand, Akzeptanz und Toleranz gegenüber dem Anderssein und den Mut, die eigene Rolle zu überdenken und notfalls zu verändern.
Und irgendwann verändert sich auch die Sichtweise des Narrators: Eine „Welt aus Technicolor“ besiegt die Welt in schwarz und weiß. Schöne Klangeffekte, dramatischer Trockennebel, sorgsam ausgewählte Hintergrundbilder und fantasievolle Kostüme machen aus dieser Inszenierung, für die die Kinder mit ihren Lehrerinnen Annette Hesse und Kristina Hölker über ein halbes Jahr geprobt haben, ein bezauberndes Erlebnis. Immer wieder gibt’s Zwischenapplaus und am Ende den verdienten Beifall.
Statt sich zu bekämpfen oder gar aufzufressen, schließen die Märchengestalten einen Freundschaftspakt.
Foto: Wissing. Quelle: Der Patriot, 2. Juni 2017