Berichte  
Stell dir vor, es ist Krieg – und keiner sieht hin

Quelle: Der Patriot, 29.06.2018
Von Andreas Balzer

Ostendorf-Literaturkurs überzeugt mit der Farce „Hilfe, die Hansens kommen“

Vielleicht, meinte der französische Medienphilosoph und Simulationstheoretiker Jean Baudrillard einmal, sei die Bombe ja längst gefallen. Wir hätten es nur nicht bemerkt. An diesen Ausspruch erinnert das aberwitzige Szenario von „Hilfe, die Hansens kommen“. Denn in der Farce geht es um zwei Familien, die auf absurdeste Weise Normalität simulieren – bis sich irgendwann herausstellt, dass sich die Welt tatsächlich im Krieg befindet.
Zum Abschluss der „Schultheatertage“ des Kulturrings hat sich das Ostendorf-Gymnasium ein ebenso anspruchsvolles wie lohnenswertes Stück vorgenommen. Als Vorlage dient Philippe Adriens Schauspiel „La Baye“, das im Original während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich spielt.
In der von Sabine Lepping mit ihren Literaturkurs-Schülern in Szene gesetzten Ostendorf-Fassung ist es die Familie Fritzen, bei der völliges Chaos ausbricht, weil sich die Hansens zum Essen angekündigt haben. Doch je mehr Mutter Frieda (Sinah Klause) versucht, die Sache in den Griff zu bekommen, desto mehr läuft alles aus dem Ruder.

Frieda (Sinah Klause) führt ein strenges Regiment. Ihre Kinder Friedel Er (Nele Kamppeter, verdeckt), Friederike (Maria Hesse), Friedel Sie (Johanna Nordkämper), Fritzi (Duwaa Ismail) und Fritzchen (Justin Zoltazek; v.l.) haben da nicht viel zu lachen. Foto: Balzer

Eine klassische Komödiensituation, die hier jedoch durch groteske Übertreibungen und konsequente Stilisierung völlig ins Absurde gedreht wird. Das beginnt schon bei den Namen, denn neben Mutter Frieda und Vater Fritz gibt es auch noch die Kinder Fritzchen, Friedel (weiblich), Friedel (männlich), Fritzi und Friederike. Alle haben clownsmäßig weiß geschminkte Gesichter mit roten Wangen. Das Bühnenbild besteht aus einem langen rot gedeckten Tisch vor schwarzen Vorhängen, und auch die Kostüme exerzieren die Mischung von Rot und Schwarz in allen denkbaren Kombinationen durch.
Die stilisierte Spielweise fügt sich da nahtlos ein. Dem ganzen Ensemble merkt man an, dass hier sehr präzise gearbeitet worden ist. Besonders sticht aber Sinah Klause hervor, die ihre Frieda in einer wirklich bemerkenswerten darstellerischen Tour de Force wie ein Aufziehmännchen auf Speed spielt.
Nur gelegentlich von ihrem schluffigen Gatten (Can Mikail Yildirim) und den renitenten Kindern unterbrochen, monologisiert, schimpft, droht und wütet sie sich durch die Szene und kippt dabei von einem Gefühlszustand in den nächsten. Das Liebkosen und Schlagen der Kinder geht nahtlos ineinander über. Und hat sie gerade erst voller Neid konstatiert, dass die Hansens „immer wie aus dem Ei gepellt“ seien, zieht sie auch schon komplett aggro über Mutter Hannah Hansen (Nadine Wiese), „diese Nutte“, her.
Davon ist freilich nichts zu merken, als die Hansens tatsächlich auftauchen, zumal sich Familienoberhaupt Hans (Leon T. Gönning) betont jovial gibt und der senile Opa Johann (Philipp Bertenrath) alles „wunderbaaar“ findet. Nur nach und nach sickert die Realität in die irreale Inszenierung bürgerlicher Normalität ein. Lebensmittel sind rationiert, durch die Straßen rollen Lastwagen und das, was in unmittelbarer Nähe donnert, ist möglicherweise auch kein Gewitter.
Man erfährt, dass der Hansen-Sohn Hans Fritz (Yannik Hesse) eingezogen wurde, und nachdem er einen Brief geschickt hat, taucht er irgendwann selbst auf. Vor dem bevorstehenden Angriff hat er noch einmal Urlaub bekommen. Sein Gesicht ist als einziges nicht geschminkt. Doch auch das kann die mit aller Gewalt aufrechterhaltene Fassade nicht erschüttern.
Bemerkenswert an der Aufführung auf der Schlossbühne Overhagen ist nicht nur die große Geschlossenheit der Inszenierung, sondern auch die Leichtigkeit, mit der dieses potenziell anstrengende, tatsächlich aber sehr unterhaltsame Stück über die Bühne geht.