Berichte  
Die Müller-Mädels

Quelle: Der Patriot, 22.09.2018
Von Carolin Cegelski

Schülerinnen wandelten auf den Spuren des Naturforschers Hermann Müller

Die „Müller-Mädels“ und ihr Lehrer nehmen Abschied von ihrem Projekt (v.l.): Marie Hesse, Nadine Wiese, Clara Kretschmer, Michael Morkramer und Duwaa Ismail. Foto: Cegelski

LIPPSTADT Sechs Jahre lang sind sie auf den Spuren des Naturforschers und Lehrers Hermann Müller (1829 bis 1883) gewandelt, haben sich mit seinem Leben und Wirken beschäftigt: die „Müller-Mädels“ vom Ostendorf-Gymnasium. Jetzt ist das Projekt „Müller-AG“ Geschichte.
Rückblick, 2012. Lehrer Michael Morkramer hat eine Idee. Er möchte Unterricht und wissenschaftliches Arbeiten miteinander verknüpfen. Morkramer steht vor den Schülern der fünften Klasse: „Ihr kennt doch sicherlich alle Hermann Müller?“ Die Antwort: Hermann, wer? Fragende Gesichter. „Den kannte ich nicht“, erinnert sich Nadine Wiese.
Morkramer bringt Licht ins Dunkel, erzählt den Schülern vom Leben und Wirken des Naturwissenschaftlers – und von seinem Plan, eine AG zu gründen, bei der die Schüler das Forschen lernen. „Er war locker, lustig und überzeugend“, sagt Nadine. Gemeinsam mit ihren Freundinnen Marie Hesse, Clara Kretschmer und Duwaa Ismail geht sie zum ersten Treffen – und schon bald gehört die „Müller-AG“ fest zum Stundenplan. Sechs Mädchen gehören anfangs dazu – zwei verlassen die AG.
„Wir haben viele tolle Sachen erlebt“, sagt Nadine. Auf den Spuren Müllers haben die Mädchen zum Beispiel die blühende Pflanzenwelt Lippstadts untersucht und Müllers Liste – „Beitrag zur Flora von Lippstadt“, 1858 – genau unter die Lupe genommen. Dafür haben sie die Standorte von rund 440 gelisteten Pflanzen in der Innenstadt überprüft, ökologische Veränderungen in einer Datenbank dokumentiert und mit Wissenschaftlern des LWL-Naturkundemuseums Münster ein Herbarium angelegt. Die Sammlung getrockneter Pflanzen soll wissenschaftlichen Zwecken dienen. Die Schülerinnen stellen ihre Arbeiten sogar bei einem Symposium in Münster vor: „Die Herrschaften von der Uni waren ganz platt“, so Michael Morkramer.
440 Pflanzen, 7 Tagebücher
Natürlich gehörte auch ein Besuch im thüringischen Mühlberg zum Lehrplan – Müllers Geburtsstadt. Bei der Besichtigung der barocken St.-Lukas-Kirche überlässt der Organist Clara Kretschmer den Platz an der Orgel: „Es war eine wahre Freude“, sagt Morkramer.
Die „Müller-Mädels“ beschäftigen sich auch mit den Tagebüchern des Naturwissenschaftlers. Mit Unterstützung der Biologin Dr. Katharina Schmidt-Loske vom Zoologischen Forschungsmuseum Koenig in Bonn haben sie sieben Tagebücher und drei Reisebeschreibungen transkribiert – außerdem rund 400 Postkarten. Vier bis fünf Jahre – ganz genau kann es niemand sagen – haben sie an dem Projekt gearbeitet.
„Die Sprache des 19. Jahrhunderts ist sehr blumig“, sagt Schmidt-Loske. Auch die Schrift ist nicht leicht zu entziffern. „Ich haben ihnen das Alphabet gegeben, sie haben ihre Hausaufgaben damit gemacht und ihre Lehrer in die Verzweiflung getrieben“, sagt Michael Morkramer. „Es war eine wunderbare Zeit.“
Die Zeit ist jetzt vorbei. Die „Müller-Mädels“ – echte Expertinnen – machen 2019 ihr Abitur. Die Früchte ihrer Arbeit haben sie bei der Erinnerungstagung an Müllers Nachfahren – Reinhard Müller und Christel Seebohm – überreicht: die transkribierten Tagebücher.
„Es ist traurig, dass die Zeit vorbei ist“, sagt Nadine Wiese. Nach dem Abitur möchte die 17-Jährige Deutsch- und Biologielehrerin werden – oder Rechtsanwaltsfachangestellte. Aber eines steht fest: „Biologie werde ich immer in meinem Herzen haben.“