Berichte
Ostendorf-Schüler begeistern mit „Besuch der alten Dame“
Quelle: Der Patriot, 02.06.2023
Das 1956 veröffentlichte Stück wird in gekürzter und leicht modernisierter Form präsentiert. Die starken Dialoge bleiben dabei weitgehend bestehen. Das Bühnenbild besteht lediglich aus einigen wenigen Podesten und Aufbauten. Für Atmosphäre sorgen geschickt eingesetzte Licht- und Toneffekte sowie verschiedene Bilder, die auf eine riesige Leinwand projiziert werden. Ob Wald, Bahnhofsgleise oder tickende Uhren, die auf die verrinnende Zeit hinweisen, von der einer der Protagonisten nicht mehr viel hat.
Es ist der Lebensmittelhändler Alfred Ill (hervorragend dargestellt von Gordon Heese), der von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Und zwar in Form seiner ehemaligen Geliebten Claire Zachanassian (überzeugend: Sophie Ermantraut), die als reiche Witwe mit Rache im Herzen in ihren Heimatort Güllen zurückkehrt.
Im Verlauf bietet Claire der heruntergekommenen Stadt eine riesige Summe Geld, die zur Hälfte der Stadt, zur anderen den Bürgern zugutekommen soll. Einzige Auflage: Ill, der Mann, der ihr einst das Herz gebrochen hat, soll mit dem Tod bestraft werden.
Es gelingt den jugendlichen Darstellern hervorragend, die Entwicklung darzustellen, indem sich die für moralische Institutionen stehenden Personen, wie Ärztin, Pfarrer, Bürgermeisterin, Lehrer und Polizist zunächst von dem unvorstellbaren Ansinnen distanzieren.
Doch dann zieht sich die Schlinge um Ills Hals immer mehr zu. Er stellt mit Grauen fest, dass alle bereits auf Kredit leben, im Hinterkopf offenbar den zu erwartenden Reichtum. Ill und das Publikum werden damit überrascht, dass viele plötzlich gelbe Schuhe tragen. Ein starkes Symbol.
Eindrucksvoll auch die Szene, als Ill zunächst noch versucht, bei Polizei, Bürgermeisterin und Pfarrer Hilfe zu suchen. Alle sitzen einzeln an einem Tisch. Vor sich ein Gewehr. Angeblich um den entwichenen Panther zu erschießen, in Wirklichkeit die längst beschlossene Entscheidung für Ills Todesurteil.
Noch ist die Mordbereitschaft latent. Ein Fluchtversuch misslingt. Beinahe klaustrophobisch die Szene, als die Menschenmasse Ill am Bahnhof umzingelt. Der Eindruck wird verstärkt durch einen Effekt, indem die Darsteller hinter der Leinwand ihre Schatten immer größer und bedrohlicher werden lassen. Nach und nach wird aufgedeckt, wie als Folge der Geldgier alle humanistischen Werte auf der Strecke bleiben.
Es gelingt der Inszenierung und dem jungen Ensemble, die haarsträubende Entwicklung absolut überzeugend rüberzubringen. Ill verliert am Ende sein Leben, aber nicht seine Würde. Gordon Heese verkörpert die Rolle überaus eindringlich, man möchte dem jungen Mann eine Schauspielausbildung anraten. Für alle gibt es riesigen Beifall und Standing Ovations. […]