Berichte  
Wenn das Einhorn zuhaut

Quelle: Der Patriot, 17.04.2019

„Ich sehe nichts, rein gar nichts. Dunkelheit. Was hat das zu bedeuten? Aber halt. Da ist etwas. Ein Licht. Es wird immer größer. Plötzlich sehe ich sie. Die Welt. Nein, nicht die Welt, sondern mein Zimmer“, in schnellem, fast stakkatoartigem Rhythmus liest die 14-jährige Alexandra ihren Text vor. Die Schülerin des Ostendorf-Gymnasiums gehört zu den 20 Teilnehmern eines schulinternen Poetry-Slam-Workshops.

Von Helga Wissing

Auf wie viele Arten kann man „“Die Kartoffel ist groߓ“ sagen? Alexandra probiert es aus. Foto: Wissing

Lippstadt – Geleitet wird der Workshop von Karsten Strack aus Paderborn, Verleger und selbst erfahrener Slammer. Er rät Alexandra an diesem Vormittag, ein wenig langsamer zu sprechen, lobt aber den Sprechrhythmus. Der Oberbegriff, um das sich in diesem Workshop alles dreht, lautet „Pflege und Europa“. Am Donnerstag, 9. Mai, werden die Resultate in der Elisabethkirche in Lippstadt präsentiert. Dort dürfen einige der Schüler ab 19 Uhr ihren ganz eigenen Eindrücken und Visionen zum Thema Ausdruck verleihen.

Gesponsert wird das Ganze vom Caritasverband für den Kreis Soest. Axel Bohnhorst von der Regionalleitung Nord-Ost findet es besonders passend, dass das Ostendorf-Gymnasium die Bezeichnung Europaschule trägt und darüber hinaus das Thema Europa auch gerade im Unterricht behandelt wird. Für die Förderung sei die Schule sehr dankbar, betont die Europa-Koordinatorin des Gymnasiums, Janine Brand.

Doch bis die jungen Autoren zwischen 14 und 18 ihren großen Auftritt haben, dauert es noch eine Weile. Am Workshop-Vormittag tut Karsten Strack alles dafür, sie entsprechend vorzubereiten. Er spricht die Sprache der Jugendlichen und lässt Verklemmtheiten gar nicht erst aufkommen.

Nicht zuletzt gilt es, die Scheu vor dem öffentlichen Sprechen zu überwinden. Nicht alle kennen sich. Schließlich kommen hier die Klassen 9 bis 11 zusammen. Bei einer der Übungen tritt eine Gruppe Freiwilliger nach vorn. Denn es wird eben nicht nur geschrieben. Schließlich geht es hier auch um einen guten Vortrag.

Auf wie viele Arten kann man den Satz „Die Kartoffel ist groß“ ausdrücken? Traurig, wütend, kichernd, dramatisch und so weiter. Die Jugendlichen machen mit und lachen sich schlapp dabei. Lachen befreit und lockert auf. Denn der beste Text verliert, wenn es mit der Präsentation nicht klappt. Und schon wartet die nächste Aufgabe. Die Teilnehmer sollen fünf Begriffe finden, die sie mit Europa verbinden, und sich damit auseinandersetzen. Eine der Übungen, zu der auch der eingangs zitierte Textauszug zählt, lautete, einen Morgen zu beschreiben, an dem man gerade aufsteht und plötzlich alles anders ist.

Tipps vom Profi: Poetry-Slammer Karsten Strack mit Workshop-Teilnehmerin Jana.

„Nicht anders als an anderen Montagen lag ich im Bett und konnte mich selbst nicht dazu überreden, aufzustehen“, beginnt die 16-jährige Vanessa ihren Beitrag, in dem der Brexit eine Rolle spielt. Der 18-jährige Jan wird in seinem Text von Babygeschrei geweckt. Der Gang zum Bad erweist sich zum Horrortrip, der Spiegel liegt in Trümmern auf dem Boden. Er muss Leichen beiseite schieben, um sich die Zähe putzen zu können, mit Blut! Irgendwann begreift man, dass der junge Slammer eine Kriegssituation beschreibt. Harter Tobak!

Karsten Strack lässt Raum für Betroffenheit, leitet seine jungen Teilnehmer professionell, aber gleichzeitig locker und mit viel Humor durchs Programm. Mit Komik werden auch einige ernste Hintergründe in den Texten transportiert, die vor allem bei Jana (18) mit den pink-lilafarbenen Haaren sehr politisch sind. Herrlich, wenn sie beschreibt, wie Alexander Gauland von einem Einhorn verprügelt wird.