Berichte  
„Ich möchte das wahre Syrien vor dem Krieg zeigen“

Geflüchteter Reisekaufmann aus Damaskus referiert über Kultur seiner Heimat

Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain schrieb schon nach seinem Besuch 1867 über die Altstadt von Damaskus: „Damaskus misst Zeit nicht in Tagen, Monaten und Jahren, sondern in Imperien, die sie aufsteigen, blühen und zu Ruinen zerfallen hat sehen.“ Die syrische Hauptstadt gilt als älteste durchgängig bewohnte Stadt der Welt. Ihre Ursprünge gehen bis ins fünfte vorchristliche Jahrtausend zurück.

4e16db74-c8e4-4558-8852-dc47077b91d4-jpg-e1473408223270In der Altstadt von Damaskus als einizige der fünf Unesco-Weltkulturerbestätten in Syrien, die (noch) nicht durch den 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieg zerstört wurde, arbeitete Moaz Tatary als Reiseleiter. Seit Februar 2015 lebt der 30-Jährige in Lippstadt. Mit seinem Vortrag „Syrien – Mein Land vor dem Krieg“ am heutigen Donnerstag, 8. September, möchte der ausgebildete Reisekaufmann den Lippstädtern das wahre Syrien – abseits der Kriegsbilder – mit seiner vielfältigen Kultur näher bringen. Moaz Tatary referiert von 18 bis 20 Uhr im Forum des Ostendorf-Gymnasiums.

Der ehemalige Reiseleiter, dessen Hobbys Lesen, Musikhören und Weltpolitik sind, zeigt Bilder und Videos zu Landschaft, Kultur (z.B. Volkstänze und Hochzeitsbräuche) und öffentlichem Leben. Außerdem bekommt das Publikum traditionelle syrische Musik zu hören, die ein guter Freund von ihm mit der Gitarre eingespielt hat. Außerdem referiert Tatary über das Verhältnis von Mann und Frau in Syrien. „Ich vermisse mein Heimatland Syrien. Ich kenne jede Stadt dort sehr gut. Ich vermisse das Syrien ohne Krieg, ohne die iranische und russische Armee und den IS“, erzählt Tatary.

Mit seiner Frau und seiner heute sechsjährigen Tochter Sedra ist Moaz Tatary vor einem Jahr vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland geflüchtet. Inzwischen hat er Arbeit beim Kolpingwerk in Soest gefunden und die Familie hat mit einer weiteren vier Monate alten Tochter namens Ayala Nachwuchs bekommen. Beim Kolpingwerk betreut Tatary Menschen, die wie er in der schwierigen Situation waren, sich in einem fremden Land eine Existenz aufbauen zu müssen. Er hilft Flüchtlingen im Kreis Soest, sich in Deutschland zurechtzufinden, bietet sich als Übersetzer an. Tatary hat sich vorgenommen, noch eine Ausbildung zu machen, über den genauen Beruf ist er sich noch nicht sicher. Um für seine Tochter einen Kindergartenplatz zu beantragen, fragte er bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Lippstadt an. Bei der ebenfalls von der Awo veranstalteten Fotoausstellung „Von Nigeria nach Lippstadt – Ankedoten“ vor einem Jahr saß Moaz Tatary im Publikum. Dort entstand seine Idee, einen Vortrag über Syrien zu halten. Daniela Daus von der Awo betreute neben anderen Eingewanderten in Lippstadt auch Tatary und sagt über ihn: „Ich benutze diese Bezeichnung ungern, aber in meinen Augen ist Moaz Tatary ein Musterbeispiel gelungener Integration.“ Der ehemalige Reiseleiter schwärmt von Deutschland: „Es ist ein wunderschönes Land. Auch Lippstadt ist eine coole Stadt, klein und hübsch und für meine Familie ideal. Die Leute hier sind sehr nett. Ich habe viele Freunde mit unterschiedlichen Nationalitäten.“

29d50af1-cfc6-46f7-93ed-9abc4958aab3-jpg-e1473408474813In seinem Heimatland Syrien warb das Tourismusministerium in Damaskus zuletzt für den syrischen Tourismus mit dem Werbeclip „Syria always beautiful“ als Teil einer Imagekampagne. Zur Strategie des Assad-Regimes, der Welt während des Kriegs mit Urlaubsangeboten Normalität vorzutäuschen, sagt der Reisekaufmann: „Ich finde es schamlos, Werbung für den syrischen Tourismus zu machen, während z.B. Aleppo mit seinen Kulturgütern am Boden zestört ist.“

Tatary, Mitglied im Arabischen Verein Lippstadt, referiert in arabischer Sprache. Ins Deutsche übersetzen wird Quaitiba Alhammawi, Kardiologe am Katholischen Krankenhaus und ebenfalls Mitglied des Arabischen Vereins. Der Verein ist neben der Awo und dem Ostendorf-Gymasium als Veranstalter auch Kooperationspartner und wird für den Abend syrische Spezialitäten für die Gäste vorbereiten. An der Schule am Cappeltor werden aktuell 30 Flüchtlinge regulär unterrichtet sowie zusätzliche Deutschkurse angeboten. Darüber hinaus engagieren sich viele Schüler und Lehrer ehrenamtlich an der Flüchtlingsarbeit in Lippstadt. Der Vortrag erfährt eine große Resonanz und ist schon jetzt mit 200 Anmeldungen ausgebucht. Mögliche Restplätze können laut Veranstalter vor dem Vortrag im Forum des Ostendorf-Gymnasiums erfragt werden.

Quelle: Der Patriot, 08.09.2016